Künstliche Intelligenz – Was heißt das wirklich und wie lässt es sich in der Praxis nutzen?
Das Buzzword Künstliche Intelligenz (KI) war in diesem Jahr überall zu lesen – in Fachbeiträgen, Nachrichtenseiten und sozialen Medien. Kaum eine technische Entwicklung wird dabei so konträr diskutiert wie diese. Während die einen – wie beispielsweise Space X und Tesla CEO Elon Musk – vor der Bedrohung durch Künstliche Intelligenz warnen: "Mark my words — A.I. is far more dangerous than nukes“1 zeigen andere auf, wie KI zum Guten eingesetzt werden kann. Einer der bekanntesten KI-Befürworter ist Facebook CEO Mark Zuckerberg. Er glaubt fest an die Technologie und setzt sein Vertrauen und sein Geld darauf, dass „die Technologie uns vor uns selbst retten wird"2.
Von einfacher Automatisierung bis zur allgemeinen Künstlichen Intelligenz
Obwohl der Begriff Künstliche Intelligenz schon seit 19553 existiert, können viele diesen nur schwer einordnen und haben nur eine vage Vorstellung über die Technologien dahinter. Um die Technologie besser zu verstehen, ist es sinnvoll sich verschiedene Automatisiergrade anzusehen. Diese lassen sich in vier Stufen einteilen: Skriptbasierte Automatisierung, Robotic Process Automation, Regelbasierte Sofware Bots und Cognitive Computing bzw. Künstliche Intelligenz.
Skriptbasierte Automatisierung
Die einfachste Art von Automatisierung im Softwarebereich sind sogenannte Makros. Diese ermöglichen es insbesondere innerhalb eines Programms wiederkehrende Arbeitsschritte zu automatisieren. Hierfür werden genaue Befehlsketten innerhalb eines oder weniger Programme als Skript festgelegt, die durch die Software abgearbeitet werden. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Erstellung von Reports in Excel. Ein Datensatz kann hierbei bearbeitet werden, indem die manuellen Befehle zur Datenaggregation, Säuberung, Sortierung, Analyse und Ausgabe aufgezeichnet und anschließend automatisiert durch einen Makro ausgeführt werden.
Robotic Process Automation
Die zweite Stufe der Automatisierung sind sogenannte Minibots oder Robotic Process Automation (RPA). Diese Software kann repetitive Arbeiten über ein oder mehrere Systeme hinweg durchführen und die Tätigkeiten eines menschlichen Arbeiters bei der Bedienung eines Computers simulieren. Hierfür werden die einzelnen Arbeitsschritte eines Mitarbeiters aufgezeichnet und von der Software abgearbeitet. RPA findet unter anderem Anwendung bei Standardprozessen im Personalbereich, z. B. bei der Abrechnung von Dienstreisen, die klassischerweise viele manuelle Bearbeitung in unterschiedlichen Systemen erfordern. Die RPA-Lösung kann sich dabei in mehrere Anwendungen einloggen, Daten aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und in ein System wie z. B. SAP eingeben, Prüfungen und Berechnungen durchführen und den Output automatisch versenden. Voraussetzung ist hier, dass es sich um regelbasierte Prozesse und Aktivitäten handelt und alle benötigten Daten in elektronischer, gleichbleibend strukturierter und auslesbarer Form vorliegen.
Regelbasierte (Software) Bots
Ein regelbasierter (Software) Bot kann auf unterschiedliche (Nutzer-)Eingaben reagieren, indem er auf vorgegebene Regeln zurückgreift und entsprechende Handlungen durchführt. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind regelbasierte Chatbots, die auf Websiten im Kundenservice eingesetzt werden. Der Kunde stellt hierbei eine Frage in einem Nachrichtenfeld oder Messenger. Aus dieser Nachricht kann die Software Schlagworte aufgreifen und mit vordefinierten Antworten reagieren. Diese Begriffe und die dazugehörigen Antworten müssen dabei jeweils festgelegt und vorprogrammiert werden. Kann der Chatbot auf eine Eingabe nicht reagieren, da keine der festgelegten Regeln zutrifft, wird diese an einen menschlichen Mitarbeiter weitergeleitet. Dieser kann die Information oder Frage des Kunden bearbeiten und anschließen weitere Regel anlegen, um die Fähigkeiten des Chatbots auszubauen.
Eine weitere Entwicklungsstufe dieser Technologie sind regelbasierte und gleichzeitig selbstlernende Bots. Dabei lernt die Software aus den zusätzlichen Eingaben des menschlichen Mitarbeiters, indem sie daraus selbstständig neue Regel erstellt und sich ohne zusätzlichen Programmieraufwand weiterverbessert. Diese Art von selbstlernender Software sind erste Anwendungen, die man dem Bereich der Künstlichen Intelligenz zuordnen kann.
Cognitive computing / Künstliche Intelligenz
Die höchste Stufe der Automatisierung sind Cognitive Computing-Technologien. Diese simulieren menschliche Denkprozesse in softwarebasierten Modellen. Hierfür werden selbstlernende Algorithmen eingesetzt, um einem System eine bestimmte Aufgabe beizubringen. Beim sogenannten Machine Learning analysieren die Algorithmen große Mengen an Daten und lernen mit diesen, Muster zu identifizieren und Vorhersagen oder Entscheidungen basierend auf diesen zu treffen. Mittels Cognitive Computing kann Software unterschiedlichste Aufgaben erlernen. Einfache Bespiele sind Spracherkennung und -verarbeitung (Speech Recognition & Natural Language processing) wie Apples Siri oder Gesichtserkennung und -identifizierung bei Facebook.
Software, die in der Lage ist, menschliche Intelligenz in bestimmten Bereichen zu erreichen und spezifische Aufgaben mindestens so gut wie ein Mensch zu erledigen, wird als schwache Künstliche Intelligenz (weak oder narrow AI) bezeichnet. In diesen Bereichen wurden in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt. Bekannte Beispiele: Die besten Spieler der Welt im Schach, Jeopardy, Poker oder dem chinesische Brettspiel Go wurden inzwischen von Software geschlagen, die mittels Machine Learning trainiert wurde.
Technologie, die über viele verschiedene Aufgabenbereiche hinweg ein ähnliches Intelligenzniveau wie Menschen aufweist, wird als "Allgemeine Künstliche Intelligenz" bezeichnet. Auch wenn Unternehmen wie IBM Lösungen entwickelt haben, die über verschiedenen Branchen und Aufgaben hinweg eingesetzt werden können, sind wir in der Entwicklung noch weit entfernt von umfänglicher, menschenähnlicher Künstlicher Intelligenz.
KI in der Praxis: Automatisierung bei innogy
Auch bei innogy Consulting beschäftigen wir uns mit dem Thema Künstliche Intelligenz und unterstützen unsere Kunden bei der Identifikation, strategischen Bewertung, Planung und Implementierung von unterschiedlichen Technologien. Sei es im Bereich Chatbots oder jetzt ganz neu auch im Bereich Human Ressources. Mein Kollege Daniel Sochaczewski ist Associate Partner bei iCon und beschäftigt sich in seinen Projekten schwerpunktmäßig mit digitalen Themen. Vor diesem Hintergrund hat er unter anderem die Kooperation mit dem Start-Up „Precire“ begleitet, das eine Technologie entwickelt hat, um aus der Sprache und Kommunikation eines Menschen seine Persönlichkeitsmerkmale abzuleiten. Wie das genau funktioniert und wie innogy die Lösung zur Identifikation geeigneter neuer Mitarbeiter einsetzen kann, hat er mir im Gespräch erläutert.
David Gölz: Du hast in deinem letzten Projekt zusammen mit unserem Kunden an einem spannenden Use Case im Bereich Künstlicher Intelligenz gearbeitet. Wie hast du diesen Anwendungsfall identifiziert?
Daniel Sochaczewski: Wir als iCon möchten unseren Kunden stets die aktuellsten Insights zu neuen Trends liefern. Dazu ist es notwendig, ständig am Puls der Zeit zu sein. Um dies zu gewährleisten, scouten wir ständig spannende Konzepte, Lösungen und Unternehmen auf ganz unterschiedlichen Kanälen – dazu zählen etwa Konferenzen, Seminare oder das persönliche Umfeld unserer Berater. Entsprechend unseres Selbstverständnisses als Managementberater bringen wir in unsere Projekte stets die „outside-in“ Perspektive ein und liefern unseren Kunden damit einen großen Mehrwert. Dazu gehört auch die umfassende Expertise im Bereich spezialisierter Start-Ups. So haben wir auf einer Netzwerkveranstaltung zum Thema Artificial Inteligence das spannende Start-Up Precire kennengelernt und sofort den Mehrwert ihrer Lösung für unsere Kunden identifiziert.
David Gölz: Du hast also sofort erkannt, wie eine konkrete Problemstellung unserer Kunden durch die Technik von Precire gelöst werden kann. Was ist die Value Proposition für unsere Kunden?
Daniel Sochaczewski: Die Lösung von Precire unterstützt im Personalbereich bei der Bewerberauswahl. Im Einstellungsprozess ist neben der fachlichen Qualifikation vor allem die Persönlichkeit des Bewerbers von großer Bedeutung. Mit der Artificial Intelligence-Lösung von Precire können wir Persönlichkeitsmerkmale objektiv sichtbar machen und schaffen somit eine Objektivierung des Bauchgefühls zum „Cultural Fit“ eines Kandidaten– das war vorher nicht möglich. Was hier sehr vage klingt, lässt sich in harten Kennzahlen konkretisieren. Zum Beispiel durch eine Reduzierung der Time-2-Hire um bis zu 60%, einer Senkung der Frühphasenfluktuation um bis zu 45% und der Prozesskosten um bis zu 35%.
Das ist in der aktuellen Zeit des „War for Talents“ natürlich eine Ansage. Wenn man sich vorstellt, dass durch den Einsatz von Artificial Intelligence nur ungefähr halb so viele der bereits eingestellten Kandidaten als bisher wieder kündigen, rechnet sich der Einsatz der Lösung sehr schnell.
Die AI-Lösung hat aber noch einen weiteren Vorteil: Wenn Lerninhalte für die eingestellten Mitarbeiter auf Basis der von Precire erzeugten (Sozial-)Kompetenz-Profile erstellt werden, können Kompetenzen systematisch gestärkt und somit nachhaltig verankert werden.
David Gölz: Den Cultural Fit eines Bewerbers technisch zu messen, klingt sehr kompliziert. Kannst Du uns vereinfacht erläutern, wie die Technologie funktioniert?
Daniel Sochaczewski: Die Precire-Technologie erkennt gelernte Merkmale aus der Sprache und leitet daraus linguistische, psychologische und kommunikationsbezogene Merkmale ab. Dabei werden neben Natural Language Processing-Verfahren zusätzlich spezifische Textmuster (Wortfolgen, reguläre Ausdrücke etc.) erfasst. Mithilfe dieser sprachlichen Muster können auf Basis von Referenzdatensätzen anschließend objektive Vorhersagemodelle erstellt werden. Precire ist dabei in der Lage, aus ca. 15-minütigen Sprachproben nicht nur auf Ebene der Worte, Wortfolgen und Wortkategorien Erkenntnisse abzuleiten, sondern analysiert die Sprache bis hinunter zur Ebene der Persönlichkeit. Das Ergebnis ist ein objektives Persönlichkeits- und Kompetenzprofil der Person, der die Sprachprobe gehört. Die Algorithmen werden bei dieser Methodik natürlich immer präziser je mehr Sprachproben analysiert werden.
David Gölz: Wie haben wir dieses Thema in den innogy Konzern gebracht?
Daniel Sochaczewski: Die Precire-Technologie bietet ihre größten Vorteile im Recruiting-Prozess. Daher sind wir von iCon proaktiv auf unsere Ansprechpartner im Human Resources-Bereich von innogy zugegangen und haben ihnen die Idee in einem ersten Telefonat grob skizziert.
Hier zahlen sich dann die Vorteile einer langjährigen, vertrauensvollen Zusammenarbeit aus: Wir haben direkt ein „Ja“ bekommen, um den relevanten Ansprechpartnern die Lösung gemeinsam mit Precire in einem Halbtages-Workshop vorzustellen. Zusammen mit dem Head of Psychology bei Precire habe ich diesen Workshop dann sehr detailliert vorbereitet. Nicht nur die Storyline, die Inhalte und die Präsentation mussten sitzen. Wir wollten die Vorteile der Lösung ein Stück weit erlebbar machen. Deshalb haben wir zwei zu dem Zeitpunkt aktuelle innogy Stellenanzeigen herangezogen und basierend darauf kurzerhand SOLL-Profile für die in den Stellenanzeigen gesuchten Kandidaten erstellt. Im Workshop selbst haben wir dann live Sprachaufzeichnungen analysiert und mit diese SOLL-Profile abgeglichen. Die Ergebnisse wurden sozusagen real-time für die Kunden sicht- und erlebbar. Sie konnten sehen, wie sich das Dashboard und die Ergebnisse aufbauen. Der Workshop hat damit auf voller Linie überzeugt.
David Gölz: Was sind die nächsten Schritte?
Daniel Sochaczewski: Um die Lösung zu implementieren, müssen zunächst die „echten“ SOLL-Profile für die Stellenbeschreibungen erstellt werden. Die wissenschaftlichen Grundlagen, die Precire bereits „im Bauch“ hat, müssen dann entsprechend der Branchen- und Firmenspezifika feinjustiert werden. Anschließend nehmen wir Sprachproben von Mitarbeitern, die bereits auf den gesuchten Stellen bei innogy arbeiten. Damit kann der Pilot starten und wir sind gespannt auf die Ergebnisse.
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