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Sein oder Nichtsein – das Dilemma der britischen Energieversorger
Als Principal der innogy Consulting UK schaue ich natürlich besonders gern auf den britischen Energiemarkt und dabei besonders auf das Vertriebsgeschäft, in dem innogy selbst aktiv ist. Dabei kommt mir aktuell vor allem eine Frage in den Sinn: „Sein oder Nichtsein?“. Denn das berühmte Zitat aus Shakespeares Hamlet erfasst das Dilemma der sechs großen Energieversorger (Big 6) in Großbritannien meiner Meinung nach ganz genau. Zum Status quo der Energieriesen wurden in der letzten Zeit zahlreiche Artikel verfasst, aber alle sind sich einig: Der zunehmende Wettbewerb durch die superschlanken, agilen, digitalen Anbieter und eine durch die britische Regierung festgelegte Preisobergrenze haben die Margen der Big 6 sehr stark schrumpfen lassen – mit dramatischen Folgen.
Die Glücklichen unter ihnen können zumindest noch hauchdünne Margen erwirtschaften. Die weniger Glücklichen agieren im roten Bereich. Als ob das nicht genug wäre, spielt auch das Thema Verstaatlichung der Versorger in den politischen Debatten Großbritanniens immer wieder eine Rolle. In diesem Umfeld scheint es nur einen Gewinner zu geben: die schlanken und agilen Digitalanbieter. Ihr Marktanteil ist in den letzten fünf Jahren (2014-2019) von 0 auf fast 25 Prozent gestiegen.
Kostendruck und agile Konkurrenz
Aber was heißt das genau? Die prekäre Lage lässt sich am besten am Zahlenbeispiel verdeutlichen. Die Kosten, um ihre Kunden bedienen zu können, liegen für die Big 6 in Großbritannien bei 100 £ bis 120 £ pro Kunde. Bei den kleineren digitalen Anbietern sind es mit 50 £ bis 60 £ pro Kunde gerade einmal die Hälfte. Die Folge: Die erfolgreichen agilen Wettbewerber bleiben trotz Preisobergrenze profitabel. Denn der Break-even pro Kunde liegt im Schnitt bei 80 £ bis 90 £. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, gilt es für die großen Versorger, mit der Kostenstruktur der digitalen Konkurrenz mitzuhalten.
Aber wo ansetzen? Ganz klar, bei den größten Kostenkomponenten. Und das sind erstens das Produkt selbst (in diesem Fall Energie), zweitens die IT-Plattformen für die Kundenbetreuung und drittens das Geschäftsmodell. Was haben die schlanken Digitalanbieter also richtig gemacht und was fehlt den Big 6 noch? Die Antwort ist dabei nicht im Produkt selbst zu finden. Denn die Einkaufspreise im Commodity-Geschäft haben sich auf dem freien Markt in den letzten zehn Jahren nicht wesentlich verändert. Wie sieht es mit den beiden anderen Aspekten aus?
Ein modernes Geschäftsmodell ist notwendig
Der Blick auf die IT-Plattformen verrät: Die Big 6 halten bisher an alten Methoden fest. So setzen sie etwa immer noch auf einen sehr komplexen End-to-End-Prozess auf Basis traditioneller ERP-Systeme wie Oracle und SAP. Eine mögliche Vereinfachung und Automatisierung ihrer Prozesse, unterstützt durch Cloud-basierte Plattformen, wie sie heute von den agilen digitalen Anbietern genutzt werden, blieben bisher auf der Strecke. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Big 6 einen sehr großen Mitarbeiterstab leisten, um die von ihnen kreierte extravagante Customer Journey aufrechtzuerhalten. Das führt zu enormen Betriebskosten, die in der heutigen Zeit schlichtweg nicht wettbewerbsfähig sind.
Eine weitere Herausforderung kommt aus der britischen Regulierungsbehörde Office of Gas and Electricity Markets (Ofgem): Sie übt Druck aus, dass die Energieversorger ihre Customer Experience verbessern sollen. Um etwa – wie gefordert – einen schnelleren und einfachen Anbieterwechsel-Service anbieten zu können, wären weitere Investitionen bei den Big 6 fällig. Sie müssten ihre träge und langsam reagierende IT-Infrastruktur modernisieren, um den neusten Anforderungen gerecht zu werden. Die digitalen Wettbewerber hingegen müssen nahezu keinerlei Investitionen in ihre ohnehin schon agile IT stecken, um den Kunden einen angenehmen und einfachen Wechsel-Service anzubieten und auf die Anforderungen der Ofgem reagieren zu können.
Morgen ist heute schon wieder gestern
Im Gegensatz zu agilen und wettbewerbsintensiven Konsumgütern oder dem Bankenwesen waren die Energieversorger immer langsam, wenn es um Modernisierung und Veränderung ging. Das war in Zeiten gleichschneller Konkurrenz vollkommen in Ordnung. Inzwischen hat das Tempo des Wandels allerdings deutlich an Dynamik gewonnen. Und das ist ein Trend, der sich in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Wer also mithalten will, dem muss klar sein, dass morgen heute schon wieder gestern sein wird. Die Idee der Big 6, zusätzliche energiebezogene Produkte an ihren zugegebenermaßen großen Kundenstamm zu verkaufen, wirkt jedoch nur wie ein Tropfen auf einen heißen Stein und wird das Grundproblem nicht lösen: Ihr derzeitiges Geschäftsmodell ist schlicht und ergreifend nicht mehr zweckmäßig.
Die Situation ist auch außerhalb von UK in den meisten entwickelten Märkten ganz ähnlich. Aber das ist ein anderes Thema. Um zu bestehen, ist die Devise für die UK Big 6 – und auch Energieversorger in anderen europäischen Ländern – jedoch vorerst ganz klar: „Begrüße die Veränderung und sei oder verharre im Status Quo und sei nicht.“
Als Principal der innogy Consulting UK schaue ich natürlich besonders gern auf den britischen Energiemarkt und dabei besonders auf das Vertriebsgeschäft, in dem innogy selbst aktiv ist. Dabei kommt mir aktuell vor allem eine Frage in den Sinn: „Sein oder Nichtsein?“. Denn das berühmte Zitat aus Shakespeares Hamlet erfasst das Dilemma der sechs großen Energieversorger (Big 6) in Großbritannien meiner Meinung nach ganz genau. Zum Status quo der Energieriesen wurden in der letzten Zeit zahlreiche Artikel verfasst, aber alle sind sich einig: Der zunehmende Wettbewerb durch die superschlanken, agilen, digitalen Anbieter und eine durch die britische Regierung festgelegte Preisobergrenze haben die Margen der Big 6 sehr stark schrumpfen lassen – mit dramatischen Folgen.
Die Glücklichen unter ihnen können zumindest noch hauchdünne Margen erwirtschaften. Die weniger Glücklichen agieren im roten Bereich. Als ob das nicht genug wäre, spielt auch das Thema Verstaatlichung der Versorger in den politischen Debatten Großbritanniens immer wieder eine Rolle. In diesem Umfeld scheint es nur einen Gewinner zu geben: die schlanken und agilen Digitalanbieter. Ihr Marktanteil ist in den letzten fünf Jahren (2014-2019) von 0 auf fast 25 Prozent gestiegen.
Kostendruck und agile Konkurrenz
Aber was heißt das genau? Die prekäre Lage lässt sich am besten am Zahlenbeispiel verdeutlichen. Die Kosten, um ihre Kunden bedienen zu können, liegen für die Big 6 in Großbritannien bei 100 £ bis 120 £ pro Kunde. Bei den kleineren digitalen Anbietern sind es mit 50 £ bis 60 £ pro Kunde gerade einmal die Hälfte. Die Folge: Die erfolgreichen agilen Wettbewerber bleiben trotz Preisobergrenze profitabel. Denn der Break-even pro Kunde liegt im Schnitt bei 80 £ bis 90 £. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, gilt es für die großen Versorger, mit der Kostenstruktur der digitalen Konkurrenz mitzuhalten.
Aber wo ansetzen? Ganz klar, bei den größten Kostenkomponenten. Und das sind erstens das Produkt selbst (in diesem Fall Energie), zweitens die IT-Plattformen für die Kundenbetreuung und drittens das Geschäftsmodell. Was haben die schlanken Digitalanbieter also richtig gemacht und was fehlt den Big 6 noch? Die Antwort ist dabei nicht im Produkt selbst zu finden. Denn die Einkaufspreise im Commodity-Geschäft haben sich auf dem freien Markt in den letzten zehn Jahren nicht wesentlich verändert. Wie sieht es mit den beiden anderen Aspekten aus?
Ein modernes Geschäftsmodell ist notwendig
Der Blick auf die IT-Plattformen verrät: Die Big 6 halten bisher an alten Methoden fest. So setzen sie etwa immer noch auf einen sehr komplexen End-to-End-Prozess auf Basis traditioneller ERP-Systeme wie Oracle und SAP. Eine mögliche Vereinfachung und Automatisierung ihrer Prozesse, unterstützt durch Cloud-basierte Plattformen, wie sie heute von den agilen digitalen Anbietern genutzt werden, blieben bisher auf der Strecke. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Big 6 einen sehr großen Mitarbeiterstab leisten, um die von ihnen kreierte extravagante Customer Journey aufrechtzuerhalten. Das führt zu enormen Betriebskosten, die in der heutigen Zeit schlichtweg nicht wettbewerbsfähig sind.
Eine weitere Herausforderung kommt aus der britischen Regulierungsbehörde Office of Gas and Electricity Markets (Ofgem): Sie übt Druck aus, dass die Energieversorger ihre Customer Experience verbessern sollen. Um etwa – wie gefordert – einen schnelleren und einfachen Anbieterwechsel-Service anbieten zu können, wären weitere Investitionen bei den Big 6 fällig. Sie müssten ihre träge und langsam reagierende IT-Infrastruktur modernisieren, um den neusten Anforderungen gerecht zu werden. Die digitalen Wettbewerber hingegen müssen nahezu keinerlei Investitionen in ihre ohnehin schon agile IT stecken, um den Kunden einen angenehmen und einfachen Wechsel-Service anzubieten und auf die Anforderungen der Ofgem reagieren zu können.
Morgen ist heute schon wieder gestern
Im Gegensatz zu agilen und wettbewerbsintensiven Konsumgütern oder dem Bankenwesen waren die Energieversorger immer langsam, wenn es um Modernisierung und Veränderung ging. Das war in Zeiten gleichschneller Konkurrenz vollkommen in Ordnung. Inzwischen hat das Tempo des Wandels allerdings deutlich an Dynamik gewonnen. Und das ist ein Trend, der sich in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Wer also mithalten will, dem muss klar sein, dass morgen heute schon wieder gestern sein wird. Die Idee der Big 6, zusätzliche energiebezogene Produkte an ihren zugegebenermaßen großen Kundenstamm zu verkaufen, wirkt jedoch nur wie ein Tropfen auf einen heißen Stein und wird das Grundproblem nicht lösen: Ihr derzeitiges Geschäftsmodell ist schlicht und ergreifend nicht mehr zweckmäßig.
Die Situation ist auch außerhalb von UK in den meisten entwickelten Märkten ganz ähnlich. Aber das ist ein anderes Thema. Um zu bestehen, ist die Devise für die UK Big 6 – und auch Energieversorger in anderen europäischen Ländern – jedoch vorerst ganz klar: „Begrüße die Veränderung und sei oder verharre im Status Quo und sei nicht.“